Die ergreifendsten Momente meines Journalistenlebens habe ich in Kiew erlebt. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 2013 sollte die ukrainische Polizei den Unabhängigkeitsplatz räumen. Die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, hatte gerade die Stadt verlassen. Ich stand vor dem besetzten Gewerkschaftshaus am Maidan und sah die Spezialeinsatzkräfte vorrücken, Tausende gepanzerte Männer. Ich war sicher, dass der friedliche Volksaufstand in dieser Nacht beendet würde. Es kam anders.
Alte Männer, Großmütter, Jugendliche stellten sich den Polizisten entgegen. Die Männer drückten gegen die Barrikaden, die Frauen standen daneben und flehten Gott an, dass die Polizisten nicht schießen. Es gab vereinzelte Schläge, die Polizei setzte Tränengas ein, aber keine harte Gewalt. Die ganze Nacht drückten die Bürger von der einen und die Polizisten von der anderen Seite der Barrikaden. Auf der Bühne beteten und sangen die Demonstranten ohne Pause, und immer mehr Ukrainer strömten von überall ins Zentrum Kiews. Als die Sonne aufging, zogen sich die Polizeieinheiten zurück. Für mich war das die Geburt der Euromaidan-Revolution.
Als Reporter für ZEIT ONLINE habe ich seit 2011 regelmäßig die Ukraine bereist. Im Osten des Landes lief ich durchs Krankenhaus, in dem Julija Timoschenko festgehalten wird. Mit Vitali Klitschko und Arseni Jazenjuk sprach ich in Kiew, und zumindest ins Vorzimmer von Präsident Viktor Janukowitsch gelangte ich einmal. Vor allem versuchte ich bei jeder Recherche jedoch, die Stimmen und die Stimmung der sogenannten normalen Leute aufzunehmen.
So sind mehr als 30 Geschichten und viele Fotos entstanden; Reportagen, Interviews, Porträts, Analysen über den Volksaufstand. Die meisten spielen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, jenem Ort, der für viele seit Dezember 2013 Euromaidan heißt. Eine Auswahl dieser Texte lesen Sie im Buch „Euromaidan – Protest und Zivilcourage in der Ukraine“, was u. a. im Apple-Store, bei Amazon, bei Epubli und im ZEIT-Shop für 2,99 Euro zu erwerben ist. Jedes Kurzkapitel steht darin für sich. Es sind Momentaufnahmen, die in der Summe die Entstehung, die Eskalation und das Ende der Revolutionsbewegung beschreiben.