In den vergangenen Wochen durfte ich Zeuge eines Verfahrens werden, das mich zum Nachdenken brachte. Auf der einen Seite mein Verlag, der #Heimatsuche veröffentlicht hatte, auf der anderen ein kleiner König, nein, ähm, Bürgermeister einer etwa 1100-Einwohner-Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern. Diesen Bürgermeister hatte ich im Zuge der 80-tägigen Recherchereise 2019 zufällig kennengelernt, ihn interviewt und für das Buch fotografiert. Da er mir gleich zu Beginn unseres Gesprächs sehr ausführlich seine vier Hoheitsrechte der kommunalen Selbstverwaltung erklärt hatte, träumte ich etwas später von ihm im Gewand eines Königs. „Die königliche Hoheit von Born“ lautet die Überschrift dieses Buchkapitels.
Vor dem Landgericht in Hamburg wollte dieser königliche Bürgermeister eine einstweilige Verfügung erwirken. Für den Fall, dass das Buch weiter veröffentlicht und verbreitet wird, beantragte sein Anwalt ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Für einen kleinen Verlag ist das eine große Menge Geld.
Vor gut einem Monat begann also das juristische Verfahren, bei dem ich nicht unmittelbar beteiligt war. Um dem Verlag zu helfen, verfasste ich jedoch als Zeuge zwei Eidesstaatliche Versicherungen, legte teilweise meine Quellen offen. Und ich bereitete mich auf eine Verhandlung vor, in der ich als Zeuge aussagen würde.
Dieses juristische Verfahren ist nun schneller beendet als gedacht. Leider nicht so, wie ich es erhofft hatte. Es kam zu keiner mündlichen Verhandlung. Die Richterin sprach kein Urteil. Noch bevor das eine oder das andere geschehen konnte, einigten sich Verlag und klagender Bürgermeister auf einen Vergleich.
Einerseits hat dieser Vergleich Vorteile: Das Buch wird dadurch nicht langfristig verboten. Es muss zur Schwärzung von drei Sätzen (50 Worte) nur kurzzeitig aus dem Handel zurückgerufen werden. Das Königs-Kapitel bleibt mit Foto lesbar, weitere Schwärzungswünsche, die es gab, werden nicht erfüllt. Selbst der Inhalt zweier der drei Sätze ist meiner Meinung nach im Zusammenhang des gesamten Textes weiterhin erkennbar. Dazu kommt eine Umstellungsfrist von einem Monat und aus Verlagssicht ein wohl wichtiges Argument: Mit dem Vergleich können keine Gerichts- und Anwaltskosten mehr entstehen.
Andererseits fühlt sich das Schwärzen eines Buches so so falsch an. Meiner Meinung nach können in #Heimatsuche die Persönlichkeitsrechte des Bürgermeisters schon deshalb nicht verletzt sein, da er sich selbst im Interview für das Buch nur als Bürgermeister geäußert hat und auch nur in dieser Funktion im Buch thematisiert wird. Mich stimmt es jedenfalls nachdenklich, dass ein Bürgermeister sich erst im Interview darüber beschwert, dass hierzulande Medien zensieren und er dann durch einen, sagen wir sehr agilen, Anwalt selbst dafür sorgt, dass ein Buch geschwärzt wird. Nein, ich glaube nicht, dass dieser Bürgermeister im Recht ist, und ich bedauere, dass die Richterin das Verfahren durch diesen Vergleich ohne Urteil beendet hat.
Gewiss, man könnte den ganzen Fall als Provinzposse abtun. Geht ja nur um einen kleinen Ort in einem nach der Bevölkerungsanzahl betrachteten kleinen Bundesland. Ist auch nur ein kleines Reportage-Buch, erschienen in einem kleinen Verlag. Man könnte in diesem kleinen Fall aber auch etwas Großes erkennen. In Zeiten, in denen Typen wie Trump in den USA oder Desinformationskampagnen aus Russland das Vertrauen in Fakten systematisch beschädigen, in denen Lügen sich durch digitale und soziale Medien schneller verbreiten als jemals zuvor, ist Ehrlichkeit im Kleinen vielleicht umso wichtiger. Stichworte: Fake News, Corona-Leugner, Glaubwürdigkeit von Medien und Politik.
Dass es Parallelen zwischen den kleinen und den großen Dinge gibt, zeigen zwei Beispiele (die im Buch nicht thematisiert werden): In einer NDR-Dokumentation fürs TV intervenierte ihre Hoheit der Bürgermeister so lautstark, dass ein Interview dadurch abgebrochen werden musste (Minute 21:30). Und beim traditionellen Maskenball verkleidete sich eben dieser ausgerechnet als Donald Trump.
Und dann ist da ja auch noch der dritte zu schwärzende Satz. Er ist nur zehn Wort kurz. Doch in ihm verbirgt sich für mich eine wichtige gesellschaftliche Frage: Wie öffentlich mit der AfD und ihren Wählern umgehen? Klar, mit einer in Teilen rechtsextremen und in Teilen rassistischen Partei mag man sich nur ungern befassen. Doch in einem aus der DDR hervorgegangen Bundesland, in dem diese Partei bei den vergangenen Wahlen mehr als 20 Prozent der Menschen überzeugen konnte, ist Verschweigen oder das Schwärzen der eigenen Meinung womöglich nicht die beste Lösung.
Wie also als Autor am besten auf den Vergleich und die nun folgende Schwärzung reagieren?
Meine Tochter sagte, ich solle einfach jene Bücher, die wir schon vor einiger Zeit gekauft haben, zusammen mit einem Stift und einer Anleitung zum Selbstschwärzen an Freunde und Bekannte verschenken. Über diesen, ihren Witz haben wir gelacht.
Ich weiß nicht, ob der Bürgermeister diese Zeilen hier liest. Aber während wir danach jene Buchexemplare, die wir noch im Regal hatten, im Garten ausbreiteten (siehe Foto), kam mir eine andere Idee. Versuchen kann man es auf diesem Kanal und per SMS ja mal:
Lieber Herr Scharmberg,
mittlerweile habe ich verstanden, dass Sie die Sache mit der AfD inzwischen anders sehen als noch im Sommer 2019. Dass dadurch ein Buch geschwärzt werden muss, ärgert mich. In der Sache freut mich Ihr Sinneswandel jedoch. Bei meiner Meinung, dass die Medien in Deutschland nicht systematisch desinformieren oder zensieren, bleibe ich. Aber auch hierzu kann man, können Sie, einen anderen Standpunkt vertreten.
Zwei Mal habe ich in den vergangenen Wochen bei Ihnen angerufen. Ein Gespräch kam leider nicht zustande. Dennoch will ich weiterhin darauf hoffen. Ganz grundsätzlich denke ich nämlich: Es ist besser miteinander zu reden, als über Anwaltsschreiben zu drohen. Wie wäre es deshalb, wenn wir über Ihre Themen und über Ihre Kritik an #Heimatsuche einfach mal reden?
Ich lade Sie hiermit zur Diskussion nach Westmecklenburg ein oder komme für eine Debatte zu Ihnen auf die Halbinsel. Scheuen Sie sich nicht, diese Einladung anzunehmen.
Königliche freundliche Grüße,
Steffen Dobbert
Lieber Steffen,
nichts ist so klein, als das es nicht wert wäre mit Aufmerksamkeit und Sorgfalt betrachtet zu werden. Und die Summe vieler kleiner Dinge gibt ja bekanntlich etwas Großes und sei es großer Schmerz. Den spüre auch ich angesichts dieser eben nicht kleinen Posse in meinem “kleinen” Kämpferherz. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Geschichte noch nicht zuende ist. Lass uns mal telefonieren. Liebe Grüße Rolf
Ich werde gern ein paar Exemplare des geschwärzten Buches kaufen und verschenken… inkl. einem Zettel mit den Sätzen, die geschwärzt wurden, welche ich aus meinem ungeschwärzten Exemplar abschreibe…. 😉
Kopf hoch – im besten Fall macht es das Buch noch interessanter und der König/Bürgermeister hat eher mehr negative Aufmerksamkeit dadurch bekommen, als es ihm lieb sein kann und die er sicher nicht bekommen hätte, hätte er die Füsse stillgehalten…
Schade mit dem Vergleich, ich hätte gern das Urteil gewusst. Aber ok, vielleicht auch verständlich bei einem kleinen Verlag…. Geld und Dreistheit gewinnt leider zu oft…
Sehr geehrte Frau…? … oder Herr Fromm-Pieronczyk?
Egal ob Dame oder Herr, irgendwo in Ihrer Ahnenkette vermute ich denselben Till Eulenspiegel, den ich auch unter meinen Vorfahren erahne. Jedenfalls ist Ihre Idee, wie mit dem geschwärzten Buch zu verfahren sei, eine ganz wunderbare!
Nun, – ich habe soeben das Buch bei Amazon bestellt und bin nun gespannt, ob es wirklich teilweise geschwärzt ist. Sollte dies der Fall sein, schlage ich Ihnen einen kleinen Deal vor: Ich kopiere alle Seiten mit schwarzen Flecken und Sie zeigen mir, daß es die in der ersten Auflage nicht gab.
Ich will nämlich nicht glauben, daß in unserem braven Land einfach jemand schwarze Farbe in Bücher hineinkippt. Nein, das kann nicht sein! Da kann man ja die Bücher gleich verbrennen!…
Wenn Sie einverstanden sind, geben Sie bitte Bescheid, damit ich Ihnen meine Email-Adresse zusende.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit,
mit freundlichen Grüßen
Jörg Hesse
Oh weh habe gerade von 6 gekauften Büchern 5 verschenkt. Was muß ich denn genau schwärzen ? Na, ich habe zur Sicherheit schon mal alles rot unterstrichen, als Warnung.
Guten Abend, Frau Ehlert,
Ihren Einsatz für die Verbreitung der richtigen, der geschwärzten Wahrheit kann ich nur bewundern! Rot angemerkt paßt in diesem Fall auch sehr in Gesamtbild. Wenn Sie aber noch ein Buch haben, dann denken Sie doch bitte an die vielen Leser, die zu spät davon erfahren haben, daß sie eine schwarz-weiße unwahre Unwahrheit gekauft haben.
Sollte man denen nicht einen Merkfaden in die Hand geben, damit sie sehen, welche Passagen sie nicht lesen sollen, weil sie diese lesen nicht sollen?
Und! – wer garantiert mir, der ich erst soeben das Büchlein bei Amazon bestellt habe, daß da auch die wahren unwahren Passagen übertüncht wurden? Da wünsche ich mir eine Anleitung, in der etwa steht, daß auf Seite soundso der Satz, “Er wolle nicht ausschließen, zukünftig selbst die AfD zu wählen”, unlesbar sein muß, weil es höchstamtlich und mächtig einvernehmlich so beschlossen wurde.
Ich würde mir schon zutrauen, eine solche Anleitung zu basteln und ein wenig unter’s Volk zu streuen. Könnten Sie mir bitte dazu zeigen, WIE Sie die Stellen rot unterstrichen haben? Mit Tinte, Buntstift, Marker. Unter dem Gesamttext oder nur wenigen Buchstaben… na, Sie verstehen, was ich meine.
Vielen Dank vorab für Ihre freundliche Mithilfe, 😉
mit freundliche Grüßen
Jörg Hesse
Oh, das ist typisch, der König von Born. Ich hätte so gerne ein Originalbuch, da ich seine klugen Reden im Kreistag ständig höre. Schade, dass es kein Urteil gab.
Habe soeben bemerkt, daß es noch 7 Exemplare des vollständigen Buches bei Amazon gibt. Dort hatte man es eine Weile versteckt, aber jetzt ist es denen wohl zu blöd, einem Dorfkönig hörig zu sein.
Ich hab’s jedenfalls ungeschwärzt bekommen. 😉