Es schneite vergangene Woche nach der Gemeindevertretersitzung in Born auf dem Fischland. Schneeflocken legten sich über die Landschaft, und ich staunte, vor allem über diesen Gerd Scharmberg. Hatte ich ihn, den Bürgermeister der Gemeinde Born, in einem Kapitel von #Heimatsuche noch halb im Scherz als einen „kleinen König“ bezeichnet (weil er im Interview seine Hoheiten als Bürgermeister, „Gebiets-Hoheit, Personal-Hoheit, Organisations-Hoheit und Planungs-Hoheit“, lautstark erklärt hatte) müsste ich diese Bezeichnung nun eigentlich anpassen, dachte ich. Scharmberg mag wie ein König wirken, unzweifelhafter ist er jedoch ein Lügner.
Die erste Lüge kann man in einem Artikel der Ostseezeitung über die Gemeindevertretersitzung nachlesen:
https://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Ribnitz-Damgarten/Antje-Hueckstaedt-aus-Borner-Ausschuss-gewaehlt-Die-Folgen-einer-Lesung
Der Redakteur, der bei der Versammlung nicht dabei war, hatte danach für seinen Bericht mit Scharmberg telefoniert und ihn zur Abwahl der Gemeindevertreterin Antje Hückstädt aus dem Betriebsausschuss der Gemeinde befragt. Hintergrund: Am 1. September hatte die Museumsleiterin und Expertin für immaterielles UNESCO-Kulturerbe an einer #Heimatsuche-Lesung teilgenommen. Während der Veranstaltung hatte sie drei Sätze aus ihrem ungeschwärzten (da vor dem 24.4.2021 erworbenen) Exemplar des Buches vorgelesen. Einige Wochen später, auf der Gemeindevertretersitzung am 21. Oktober, kritisierte Bürgermeister Scharmberg sie dafür scharf und regte Konsequenzen an. In seiner Welt kann es offenbar nicht sein, dass eine Frau aus seinem Dorf selbst entscheidet, welche Sätze sie aus einem Buch vorliest … Am vergangenen Donnerstag war es dann so weit. Durch eine Mehrheit, die bei Gemeindevertretersitzungen oft so abstimmt, wie Gerd Scharmberg es möchte, wurde Antje Hückstädt aus dem Betriebsausschuss abgewählt. Auch den Vorsitz des Tourismusausschusses verlor sie, da dieses Gremium außerplanmäßig neu gewählt wurde.
Scharmbergs Lüge entstand danach. Es habe während der Versammlung kein Redeverbot gegeben, sagte er der Ostseezeitung. (Zitat im Artikel: „Dass sich niemand zu dem Thema äußern durfte, stimme nicht.“) Tatsächlich war es so, dass weder die von der Abwahl betroffene Antje Hückstädt noch andere Gemeindevertreter zum Tagesordnungspunkt der Abwahl diskutieren oder Fragen stellen durften. „Tut mir leid, für die Wahl gibt es keine Debatte,“ antwortete Scharmberg einem Gemeindevertreter, der sprechen wollte. Das im Sinne der Kommunalverfassung wichtige Rederecht der Gemeindevertretung ignorierte er einfach.
Wie kommt Scharmberg dazu, gegenüber der Ostseezeitung die Unwahrheit zu behaupten? Ein Ausrutscher? Oder System?
Scharmbergs zweite Lüge steht jedenfalls ebenfalls mit der Ostseezeitung in Verbindung. Am 9. September veröffentlichte die einen Artikel, in dem es um ein Café in einem Nachbarort geht:
https://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Ribnitz-Damgarten/Wieck-Cafe-Fernblau-wird-aus-Darsser-Arche-geworfen-Unsere-Existenz-ist-ruiniert
„Unterdessen hat sich Borns Bürgermeister Gerd Scharmberg zu Wort gemeldet“, beginnt ein Absatz des Textes. Dann heißt es: „… eine Lesung des Autors Steffen Dobbert (…), gegen den Scharmberg eine Klage geführt und gewonnen habe (…)“.
Bitte was? Gerd Scharmberg hat bisher keine Klage gegen mich vor keinem Gericht gewonnen. Die im Artikel veröffentlichte Behauptung, die nur von Scharmberg stammen kann, ist unwahr. Der OZ-Redakteur, der den Text verfasst hatte, berichtigte diesen mittlerweile nach einem Hinweis. Aber eine Frage bleibt: Ist das alles Zufall?
Scharmbergs dritte mir bekannte Lüge wurde nicht durch die Ostseezeitung veröffentlicht. Sie steht in einer eidesstattlichen Versicherung, datiert vom 6. Februar 2021.
Zum Kontext: Der Verlag, in dem #Heimatsuche erschienen ist, hatte das Buch im Frühjahr ohne Gerichtsurteil nach einer außergerichtlichen Einigung mit Gerd Scharmberg schwärzen lassen. In den Akten, mit denen Scharmbergs Anwalt die Schwärzung erreicht hatte, befindet sich eine von ihm selbst verfasste eidesstattliche Versicherung. Darin geht er auf das Interview ein, das ich am 25. September 2019 für die Buch-Recherche mit ihm geführt habe. Den Titel des Buches sowie den Verlag nannte ich ihm vor und während des mehr als zwei Stunden langen Interviews mehrfach. Auch am Tag nach dem Interview, als Scharmberg am Ostseestrand für das Buch fotografiert wurde, sprachen der Fotograf und ich mit ihm über das Buch. Deswegen waren wir ja alle da. Scharmberg behautet in der eidesstattlichen Versicherung jedoch: „Von einem Buch war in dem Gespräch keine Rede.“ Das ist gelogen.
Man könnte nun fragen, weshalb sich mit den Unwahrheiten eines Bürgermeisters auf einer Halbinsel an der Ostsee abgeben? Gibt doch Wichtigeres dieser Tage. Mag stimmen, doch je länger ich Gerd Scharmbergs Handeln verfolge, desto häufiger muss ich an eine aktuelle repräsentative Studie der Körber-Stiftung denken.
Demnach haben hierzulande aktuell nur noch 50 Prozent der Bundesbürger:innen Vertrauen in die Demokratie, 30 Prozent vertrauen ihr weniger bis gar nicht. Für Mecklenburg-Vorpommern gibt es noch alarmierende Zahlen. Und Volksvertreter, die Lügen als Mittel der Politik benutzen, sind sicherlich ein Grund für diesen Missstand. Im Großen kann man in den USA (Bush und der Irakkrieg, Trump und der Sturm aufs Kapitol) oder in Russland (Putin und der Ukraine-Krieg) verfolgen, was Unwahrheiten anrichten können. Im Kleinen ist Gerd Scharmberg ein Bürgermeister, der die Öffentlichkeit täuscht, Verunsicherung schürt und Einzelne einschüchtert.
Wegen Antje Hückstädts Strafe fürs Vorlesen von drei Sätzen existiert mittlerweile eine Petition, in der sich Menschen mit ihr solidarisieren.
Als ich vergangene Woche in Born einige Leute fragte, was sie von der Petition halten, antwortete mir eine Frau. Es sei eine Sauerei, was der Bürgermeister da mit einer ehrlichen Gemeindevertreterin mache, sagte mir die Bürgerin. Doch öffentlich unterschreiben, so, dass ihr Name erkennbar wird, wolle sie die Petition nicht. Sie habe Angst vor den Konsequenzen im Dorf, begründete sie ihre Entscheidung.
Wenn Furcht das freie Wort beherrscht, wenn die Debatte, eine der wichtigsten Elemente der Demokratie, auf Sitzungen von Volksvertreter:innen unterbunden wird, wenn die Meinungs- und Pressefreiheit in Dörfern wie Born keine Selbstverständlichkeiten mehr sind, dann ist das ein Problem.
Auf der Rückfahrt von Born, als der Schnee die Landschaft verzauberte, dachte ich deshalb an Martin Luther: Die Lüge ist wie ein Schneeball, sagte der einst. Je länger man ihn wälzt, desto größer wird er.
*Bevor ich diesen Text hier im Blog veröffentlichte, fragte ich Gerd Scharmberg per Email, ob er für die drei Lügen irgendwelche Erklärungen habe. Er lehnte eine Stellungnahme mit dem Hinweis ab, er schulde mir keine Antwort.
Link zur Petition:
https://www.openpetition.de/petition/online/keine-politische-strafe-fuer-antje-hueckstaedt-weil-sie-drei-saetze-aus-einem-buch-vorgelesen-hat#petition-main
Hallo Herr Dobbert, ihr Beitrag ist einfach wunderbar zu lesen und beschreibt Herrn Scharmberg sowie die Situation in Born haargenau. Es ist erschreckend und zugleich erstaunlich, dass Sie als “Fremder” nur zwei Stunden Interviewzeit benötigt haben um zu erkennen was Herr Scharmberg für ein Mensch ist. Die Bürger/innen aus Born haben es leider auch nach 20 Jahren noch nicht geblickt.
Ich selbst bin Bornerin und lebe seit Anbeginn in Born. Seit ich zurück denken kann ertrage ich mit einer kurzen Pause Herrn Scharmberg als Bürgermeister. Leider hat man kaum eine Chance gegen den Bürgermeister und sein Gefolge anzukommen. Da sie das Talent der Gehirnwäsche und Tatsachenverdrehung beherrschen wie nix anders. Der Bgm. hat zudem Verbindungen bis ins weiße Haus (Ministerium), zumindest muss man das annehmen wenn man sieht wie und womit er alles durchkommt. Keine Rechtsaufsicht oder Gericht konnte ihm je auf die Schliche kommen.
Jeder andere würde bei solchen Rechtsverstößen, Erpressungen etc. sofort veklagt und verurteilt werden aber nicht ein Herr Scharmberg. Er nutzt jedes Schlupfloch eines Gesetzes um sich raus zu winden und hat damit Erfolg.
Es ist so traurig das mei Dorf mit solch einem Bürgermeister gestraft ist und keiner sich traut dagegen anzukämpfen. Ich selbst hab mich getraut und kämpfe wenn auch kleinlaut ohne wirklichen Erfolg…leider. Meine Wählergruppe steht für Born und muss leider so viel Spott und Ärger einstecken. Ich bewundere Herrn Holtz, Fau Hückstädt, Herrn Kiefer, Frau Diekmann und alle Ausschussmitglieder die seit Jahren für ein gerechtes Born kämpfen. Sie haben meinen größten Respek, dass sie die Beleidigung und Ungerechtigkeiten stets und ständig ertragen haben und weiter werden.
Und ich danke Ihnen für diese großartigen offenen Worte. Vielleicht erreichen Sie als öffentliche Person mehr als wir hier vor Ort.
Vielen Dank
Dana Braasch