Fußballer: “Schwul? Na soll’n sie doch!”

Jens und Thorsten von den Volksparkjunxx

Jens und Thorsten von den Volksparkjunxx

 

Wer mit der S-Bahn am Fußballstadion des Hamburger SV ankommt, spürt viel menschliche Nähe. Eine Stunde vor dem Anpfiff gegen Borussia Dortmund drückt die Enge einen gegen Bierbäuche, bierversiffte Lederjacken und Stoppelbärtige, die “Heeijaa B-V-B, Heeijaa B-V-B, Heeijaa B-V-B” rufen.

Als Antwort auf die einmarschierenden Dortmunder reißen drei HSV-Fans ihre Münder auf. Sie brüllen über den ganzen Bahnhof “Schwuuler B-V-B, Schwuuler B-V-B, Schwuuler B-V-B”. Danach laufen alle zusammen zum Stadion.

Es ist erst knapp zwei Wochen her, dass der erste schwule Bundesligaspieler ein Interview gab, in dem er seine Angst vor einem offenen Leben ausdrückte. Angela Merkel, Uli Hoeneß und viele Weitere reagierten auf das anonyme Interview. In der anschließenden Debatte geht es nun auch um die Frage, wie homophob Fans, Funktionäre und Fußballer im Herbst 2012 noch sind. Eine eindeutige Antwort gibt es nicht, aber bei einem Stadionbesuch gemeinsam mit Sören, Thorsten, Jens und ihren Fußballfreunden kann man sich ihr nähern. Sie sind Mitglieder der Volksparkjunxx, dem einzigen Fanclub des HSV für Schwule und Lesben.

Auswärtsspiele schauen die Volksparkjunxx gemeinsam in einer Hamburger Kneipe, einmal im Monat sitzen sie zusammen am Stammtisch, und vor jedem Heimspiel treffen sie sich – wie jetzt – an einem Bierstand vor dem Stadion. “Sonst laufe ich ja auch nicht mit rosafarbenem Püschel durch die Gegend, wir wollen nicht unbedingt auffallen,” sagt Thorsten, einer der Gründer des Fanclubs, und begründet, weshalb ihr Fanclubschal schlicht gestaltet ist.

Die “Schwuuler B-V-B”-Rufe haben Thorsten und die anderen nicht gehört. Aber man könne sich das gut vorstellen. Schwul sei inzwischen eine Beleidigung, die manche ohne homophoben Hintergedanken nutzen, sagt Thorsten, der sich ein neues Bier geholt hat und nun mit der Menschenmasse Richtung Fankurve läuft.

Jens sagt, er habe vor einer Weile neben einem HSV-Fan gestanden, der “blöde Schwuchtel” aufs Feld rief. “Such Dir mal ‘n anderes Schimpfwort”, habe er geantwortet. Das, sagt Jens, hätte er sich vor zehn Jahren im HSV-Stadion nicht getraut.

In der Nordkurve singen die Fans gerade “Laadiedadiedaadidoo B-V-B-Huurensööhne”, als der Stürmer Son nach zwei Spielminuten und einer Flanke von van der Vaart das 1:0 gegen den Deutschen Meister köpft. Die Volksparkjunxx feiern und werden mit dem Bier der anderen geduscht. Fallrückzieher, Hackentrick, Grätschen, direkte Pässe und die Führung – in der ersten Halbzeit begeistert der HSV seine Fans.

Vor dem Seitenwechsel eine willkürliche Umfrage zwischen Leuten, die vor dem Bierstand stehen. Was meinen Sie, könnte sich ein HSV-Spieler problemlos outen? Antwort eins: “Ja, is’ mir egal.” Zwei: “Lass mich in Ruhe!” Drei: “Das sollte der nicht alleine machen, die Medienmeute würde ihn fertig machen.” Vier: “Na, logisch, halt ne Schwuppe mehr.” Fünf: “Schwul? Na soll’n sie doch!”

In der zweiten Halbzeit schafft der HSV es, sein bestes Spiel seit Monaten oder vielleicht Jahren mit 3:2 zu gewinnen. Beim 2:1 fliegen vor Freude wieder volle Bierbecher durch die Luft. Beim 3:1 umarmen sich die Volksparkjunxx. Beim Abpfiff hüpfen sie, umklammern sich, drücken sich aneinander und werden wieder vom Bier überschüttet. Selten war die Stimmung besser als heute.

Homophobie ist nichts, was einem bei diesem Stadionbesuch so offensichtlich wie an der S-Bahn ins Gesicht fliegt. Die Volksparkjunxx sind unauffälliger Teil einer feiernden Masse. Deshalb gehen sie zum HSV, sagen sie.

Sie sind sich uneins, was passieren würde, wenn ihr Auftreten anders wäre, wenn sie etwa ein leuchtendes großes Plakat gegen Homophobie vor den Augen aller Fans an die Nordkurve hängen würden. Der älteste der Gruppe erzählt, irgendwann habe es kleine blaue Aktionsaufkleber gegeben: “Gegen Homophobie” stand da drauf, auch im Fanblock klebten einige. Nach einer Weile waren die Buchstaben “phobie” übergemalt.

Später, als das Bier auf den Haaren getrocknet ist, beantwortet auch Sören die Umfrage-Frage. Er ist erst seit etwa zwei Monaten ein Volksparkjunxx. Ein schwuler HSV-Spieler? “Das wäre eine Revolution!”, sagt der 34-Jährige. Seine Fanclubfreunde stimmen zu. Sie sagen, in den vergangenen Jahren habe sich etwas verändert, zum besseren. Ein Coming Out sei eine persönliche Entscheidung, die eigentlich nichts mit dem Fußball zu tun habe. Doch für sie wäre es ein Traum, wenn sich ein Spieler offen bekennen würde.

Es könne aber nur ein erfahrener, erfolgreicher Spieler sein, der unter den Fans beliebt ist, sagt Sören. Heute stand er in der Nordkurve neben seinem Vater, 74. Sein Vater mag den BVB und ist deshalb heute extra aus Bad Driburg bei Paderborn angereist.

Vor dem Spiel hatte Sören versucht, seinem Vater zu erklären, dass sein Fanclub einer für Schwule ist. Sein Vater hatte nicht reagiert. Auch jetzt, als die Gruppe nach dem Spiel diskutiert, ob oder welcher Profi sein Coming Out erklären könnte, sagt Sörens Vater zu dem Thema kein Wort. Sören lacht. Er erzählt, wie er vor Jahren seinen Eltern per E-Mail schrieb, dass er auch Männer mag. Eine direkte Antwort bekam er nie. Aber er weiß, dass sein Vater ihn liebe, sagt er. Es klingt, als sei ihm das genug. Er sieht glücklich aus. Sein Team, der HSV, hat heute gegen den BVB, das Team seines Vaters gewonnen.

Und es gab diesen einen Moment, sagt Sören noch. Es war so unscheinbar und kurz, aber so schön und bezeichnend. Der HSV führte schon. Sören verfolgte beeindruckt die Bewegungen der Nummer 18, ein Mittelfeldspieler. “Wer ist das?”, fragte Sören in die Runde. Thorsten neben ihm zuckte mit den Achseln. Keiner wusste es. Da drehte sich ein Fan aus der Reihe unter ihnen, der nicht zu den Volksparkjunxx gehört, um. “Das ist Tolgay Arslan”, sagte er. Mit einem Lächeln fügte er an: “Spielt heut gut, sieht gut aus – soll ich vermitteln?” Es war ein Scherz, ein banaler, kein beleidigender.

(Veröffentlicht auf ZEIT ONLINE)

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